Aufzeichnungen eines Gesprächs mit Lisa Ds ehemaligen Kollegen – nennen wir ihn Patrick – heute Operations Manager eines großen Onlinetextilhändlers – nennen wir ihn »Without you«.

Hi Lisa, hör zu, das wird dir gefallen! Grad vorhin stehe ich in meiner Küche und brate mir ein blutiges Steak. Die Glotze ist wie üblich an. Du weißt ja, ich brauche beim Kochen immer was Belangloses im Hintergrund, dann ich klicke am liebsten zum Öffentlich-Rechtlichen. Da klagt irgendeine männliche Stimme, dass die Textilindustrie am Abgrund stünde. Ich schaue hin. Den kenn ich ja, sage ich mir, das ist dieser Typ vom BTE, der die stationären Händler vertritt. Die hätten – Stand Januar 21 – angeblich eine halbe Milliarde unverkaufter Artikel in ihren Lagern und der Umsatzverlust läge inzwischen bei 20 Milliarden. Jammern, Jammern, das können die! Wo doch eigentlich jedem klar war, dass man den klassischen Einkaufsbummel verändern musste. Nicht nur die Spatzen, sogar die Politiker haben das längst von den Dächern gepfiffen: Digitalisierung! Digitalisierung! Digitalisierung! Wir nehmen eben seit Jahren jeden unter dreißig mit. Und zwar auf seinem Smartphone! Amazingly cheap fashion for addicted users! Hallo, hallo. Diese Gegenwart findest du gruselig? Dann freu dich auf die Zukunft. Corona hat gezeigt, wo’s lang geht. Stationärer Handel ade! Alle müssen in ihren vier Wänden bleiben, sind gelangweilt und frustriert, und was tun sie dann?

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Klick, Klick, Klick…

jede Sekunde wandern ein paar Millionen Items in unseren Einkaufskorb. Findest du schlimm? Ich nicht, wir haben schließlich eine Menge Geld und Knowhow in unsere Logistik gesteckt. Wie sonst könnten wir innerhalb von zwei Tagen jedes bestellte Ding ausliefern. Gut, da fallen auch ein paar Retouren an, circa die Hälfte kommt zurück, aber was soll’s, wir produzieren eben um ein Drittel mehr, kost ja fast nix. Hey, du kannst mich nicht beleidigen mit der Fast Fashion.

Schließlich ernähren wir 4,1 Millionen Bangladeschi! Was machen die ohne unsere Aufträge, sollen wir sie verhungern lassen? Was für ein Theater, als wir beim ersten Lockdown die Bestellungen zurückgezogen haben. Damals wussten wir ja noch nicht, dass das Virus so ein Glücksbringer wird. Die Medien, was haben die für einen Druck gemacht. Gut, wir haben dann ein wenig nachgegeben, den Preis um die Hälfte runtergehandelt und 80% abgenommen. Das war im Rückblick auch gut fürs Image – und ein gutes Geschäft. Aber was ich dir eigentlich sagen wollte: Ich hau mir gerade mein Steak auf den Teller, schlürfe an meiner Fritz Cola – da kommt der Peter Altmaier ins Bild. Sagt, er will den stationären Handel unterstützen.

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Fast Fashion als verderbliche Ware

Bei seinen intensiven Beratungen mit einigen Branchenvertretern habe er begriffen, dass Modeware während eines so langen Lockdowns verdirbt – so wie ein Lebensmittel mit überschrittenem Ablaufdatum. Also habe er beschlossen, die im Lockdown übrig gebliebene Ware ab sofort als verderblich einzustufen. Du, wie der das so gesagt hat, hätte ich mich fast an meinem Steak verschluckt, so sehr habe ich innerlich gejubelt.

Hat der doch hat tatsächlich verkündet, dass wir unseren überschüssigen Kleidermüll in Zukunft als Verlust abschreiben können. Wie geil ist denn das? Da haben diese armen Würstchen vom stationären Handel endlich mal was Vernünftiges durchgesetzt. Großartig, wir sparen uns die ganzen aufwändigen Logistikketten, mit denen wir das wertlose Zeugs in der Gegend herumschippern, um so zu tun, als wären diese Billigklamotten noch was wert. 

Unsere ganze verderbliche Fast Fashion, unsere Millionen Überhänge, können wir in Zukunft als Müll abschreiben! Heul nicht! Der Peter weiß eben, wo’s lang geht. Wenn ich könnte, würde ich ihn zum MINISTER OF FAST FASHION ernennen. 

Aus der Rubrik: Lisa D. plaudert aus dem Nähkästchen